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Eine Depression ist kein Beinbruch

Mit rund fünf Millionen Betroffenen in Deutschland ist Depression heute ein Massenphänomen. Dementsprechend häufig wird auch in den Medien über die „Volkskrankheit“ berichtet. Mit Aussagen wie „Es kann jeden jederzeit treffen“, „Die Krankheit ist gut behandel- und heilbar“ oder „Das sind nicht Sie selbst, sondern Ihre Krankheit“ werden Patient*innen und Angehörige über Depressionen informiert. Aber sind diese Aussagen wirklich hilfreich?

Hinter diesen Aussagen steht meist das Bemühen von Mediziner*innen und Patient*innen-Vereinigungen, die Stigmatisierung aufzuheben, die den psychischen Störungen leider immer noch anhaftet. Viele Betroffene sprechen aus Angst vor sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung nicht über ihre Probleme. Und bis sie eine Ärzt*in oder eine*n Therapeut*in aufsuchen, vergehen oft qualvolle Monate oder gar Jahre.

Depression - eine Krankheit wie jede andere?

Um Menschen mit Depressionen zu ermutigen sich schneller Hilfe zu holen, setzen viele Presseartikel seelisches Leid mit körperlicher Krankheit gleich. Besonders häufig trifft man auf den Vergleich mit einem Beinbruch. Tenor: Genau wie ein Beinbruch könne eine Depression von Ärzt*innen erkannt, behandelt und geheilt werden. „Da ist gar nichts Besonderes dabei“, möchte man solchen Sätzen am liebsten hinzufügen. Aber stimmt das wirklich?

Sicher ist es ein hehres Ansinnen, der Stigmatisierung entgegen wirken zu wollen, damit Betroffene ihre Probleme offener äußern und früher Unterstützung bekommen. Aber ist der Vergleich mit körperlichen Krankheiten tatsächlich hilfreich? Welche Risiken und Nebenwirkungen gehen von einer solchen medizinischen Sichtweise aus? Aus meiner Sicht sind es eine ganze Menge.

Henne oder Ei?

Bei näherer Betrachtung hinkt der Vergleich mit dem Beinbruch gewaltig: Eine Depression ist kein Unfall, der sich plötzlich und unbegründet ereignet. In der Regel entwickelt sie sich langsam und hat mehrere Ursachen. Niemand weiß genau, wie groß der Anteil von biologischen, psychosozialen und lebensgeschichtlichen Faktoren beim Entstehen einer Depression ist.

Vor dem Hintergrund der lebenslangen Veränderbarkeit des Gehirns (Neuroplastizität) muss auch bezweifelt werden, dass die typischen Symptome wie Antriebsarmut, Niedergeschlagenheit und Interessenverlust allein durch einen Mangel bestimmter Botenstoffe im Gehirn verursacht werden. Es kann genau so gut umgekehrt sein: wie die Hirnforschung heute weiß, schlagen sich emotionale Erfahrungen auch physiologisch im Gehirn nieder. Was war also zuerst da, Henne oder Ei, Biochemie oder Lebenserfahrungen?

Im Gegensatz zum Beinbruch verläuft eine Depression in der Regel phasenhaft, d.h. depressive Episoden können immer wieder auftreten. Die Störung ist dann also nie ganz „geheilt“, sondern der Mensch, der anfällig für depressive Zustände ist, muss damit leben lernen. Es gäbe noch mehr Unterschiede aufzuzählen, aber ich will auf etwas anderes hinaus:

"Psychisch Krank" sein

Indem man die Depression in die Nähe körperlicher Krankheiten rückt, legt man den Betroffenen eine Selbstwahrnehmung und einen Umgang mit ihren Problemen nahe, die sie von Beinbruch & Co. kennen. Zunächst einmal werden sie zu „Patient*innen“, da sie ja eine „psychische Krankheit“ haben. Das kann einerseits eine Entlastung bedeuten, da Krankheiten jemanden „ohne Schuld“ treffen und die Diagnose auch dabei helfen kann, sich nicht mit den Symptomen zu identifizieren („Ich bin kein schwacher Mensch, sondern das ist ein Symptom meiner Krankheit“).

Andererseits fällt man aus der Gemeinschaft der Gesunden heraus und wird zum „Anderen“, zum „Kranken“, dem die Gesunden (und auch er sich selbst) anders begegnen. Rücksichtnahme und Verständnis können die positiven Folgen davon sein, Bevormundung sowie ein Mangel an Mitgefühl, Respekt und Zutrauen die negativen.

Abhängigkeit vs. Selbstwirksamkeit

Wenn man glaubt, dass Depression eine Krankheit wie jede andere ist, wird man auch verstärkt körperliche Ursachen und Behandlungsmethoden ins Auge fassen. Der viel zitierte Satz „Psychotherapie ist bei leichten und mittelgradigen Depressionen genauso wirksam wie Psychopharmaka“ entstammt dieser Haltung und impliziert, dass Medikamente das Maß aller Dinge sind. Für sehr schwere psychische Leiden (z.B. Psychosen) mag das vielleicht zutreffend sein, aber das Gros der seelischen Probleme lässt sich mit Psychotherapie allein (allenfalls kurzzeitig ergänzt durch Medikamente) hervorragend bewältigen.

Medikamente können eine Depression nicht heilen, sondern allenfalls die Symptome lindern. Forscher*innen der Ruhr-Universität Bochum haben zahlreiche Studien zusammengetragen, die die nachhaltige Wirkung von Psychopharmaka infrage stellen, teils sogar negative Folgen bei längerer Einnahme dokumentieren (Margraf & Schneider 2016). Die Autor*innen fordern, die Forschung zu biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren besser zu verzahnen und den engen Blick auf mögliche biologische Ursachen zu weiten. Medikamente seien leider immer noch schneller verfügbar als Psychotherapie, dabei verspreche nur letztere langfristigen Erfolg. Sie sehen die Pharmaunternehmen in der Pflicht, ihr Marketing für Psychopharmaka zurückzufahren. Außerdem sollten Betroffene schneller Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten bekommen.

Welche Folgen hat diese medizinische Sichtweise für Betroffene?

Wer davon überzeugt ist, dass mit seinem Hirnstoffwechsel etwas nicht stimmt, wird sich weniger verantwortlich für seine Heilung fühlen als jemand, der sich selbst nicht als psychisch krank wahrnimmt, sondern seine Schwierigkeiten eingebettet in seine Lebensgeschichte sieht.

Während der erste auf Heilung von außen hofft und sich dadurch als abhängig von Mediziner*innen erlebt, wird der zweite aktiv an sich arbeiten, um durch persönliches Wachstum seine Probleme zu überwinden.

Letzteres verspricht gleich auf mehreren Ebenen Erfolg:

1. Künftige depressive Phasen lassen sich so eher vermeiden oder leichter bewältigen.

2. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Person reift man unweigerlich, was den Betroffenen in allen Lebenslagen zugute kommt.

3. Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit ist einer der wichtigsten Faktoren für psychische Stabilität und Widerstandskraft. Wer erlebt hat, dass (und wie) er sich selbst helfen kann, der wird nicht mehr so leicht aus der Bahn geworfen.

Wachstum und Entwicklung - die humanistische Sichtweise

Die humanistischen Therapieformen, wie z.B. Gesprächstherapie und Achtsamkeitsbasierte Naturtherapie, gehen davon aus, dass der Mensch bereits alles in sich trägt, was er für ein erfülltes Leben braucht. Dieses „Potenzial“ drängt ein Leben lang nach Entfaltung, so dass der Mensch immer wieder Wachstumsphasen erlebt, die durchaus krisenhaft sein können.

Mit den Begriffen „Krankheit“ und „Gesundheit“ tue ich mich schwer, denn ich sehe Depression eher als Anpassungsversuch des Organismus. Der Organismus ist bestrebt, mit schwierigen Erfahrungen und Einflüssen zurecht zu kommen und zu einem Gleichgewicht zu finden. Manchmal entstehen dabei störende Symptome, also eine psychische „Störung“.

Aus dieser Perspektive wird die Störung zu einer Erscheinung von vielen im Gesamtkontext menschlicher Entwicklung und Reifung. Sie ist keine „Krankheit“, die plötzlich vom Himmel fällt, sondern steht in einem sinnvollen Zusammenhang mit der individuellen Lebensgeschichte. Mit diesem Blickwinkel steht nicht die Störung im Mittelpunkt, sondern der ganze Mensch mit all seinen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen.

Die Störung verschwindet in dem Maße, in dem der Mensch in seiner Persönlichkeit reift und es ihm gelingt, konstruktive Antworten auf die Herausforderungen des Lebens zu finden. In einem von persönlichem Sinn getragenen, selbstverwirklichenden, authentischen sowie sozial und ökologisch verantwortlichen Leben findet eine psychische Störung keinen Nährboden.

Fazit

Eine Gleichsetzung der Depression mit körperlichen Krankheiten kann Gefühle der Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Ausgrenzung hervorrufen sowie eine allein medikamentöse Behandlung plausibel erscheinen lassen. Die Patient*innen erfahren sich nicht als selbstwirksam und stehen jedem erneuten Auftreten der depressiven Symptomatik ebenso hilflos gegenüber wie vor der Behandlung.

Hingegen weitet die Sichtweise, dass es sich bei einer Depression um das Symptom einer Lebenskrise handelt, den Blick für die Chancen, die in dieser Situation liegen. Mithilfe einer Psychotherapie werden Klient*innen ermutigt, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und aktiv ihr persönliches Wachstum zu unterstützen. Die Depression wird so zum hilfreichen Wegweiser in Richtung Lebendigkeit.

Mit dieser Sichtweise ist Depression, im sprichwörtlichen Sinne, wirklich kein Beinbruch mehr!

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Die Autorin

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